Luftige Baumkronen bieten der Mistel ihren Lebensraum
Wie kugelrunde Vogelnester thronen die immergrünen Misteln in den Baumwipfeln. Besonders fällt uns dies im Winter auf, wenn die Äste ihres Baumwirts unbelaubt sind. Schwebt dann noch Nebel über der Landschaft, wirken die Bäume mit ihren Mistelnestern wie mythische Gestalten. So ist es kaum verwunderlich, dass zahlreiche Mythen sich um die immergrüne Pflanze ranken. Der Mistel wird von alters her magische Wirkung nachgesagt. Im Volksmund nennt man sie auch Hexenbesen, Hexenkraut, Donnerbesen, Druidenfuss oder Albranken.
Die Mistel ist ein Halbschmarotzer
Die gelbgrünlichen Stängel mit ihren gabeligen Verzweigungen bilden kugelförmige Büsche und tragen längliche, ledrige Blätter. Die Blüten der Mistel sind gelb und unscheinbar klein. Die schmarotzende Pflanze lebt mit ihrem Wirt in einer Symbiose und saugt diesem nur so viel Nahrung ab, dass er überleben kann. Daneben betreibt die Mistel aber auch eine eigene Fotosynthese. Äusserlich lässt sich die Mistel erst nach etwa zwei Jahren erkennen. Bis sie sich zu einer grossen Kugel entwickelt hat, vergehen drei Jahre. Dann aber kann sie bis zu 70 Jahre alt werden und einen Durchmesser von bis zu einem Meter erreichen. Auf Obstbäumen ist die Mistel oftmals ein unerwünschter Gast. Denn Äste mit Mistelkugeln können brechen, der Obstertrag kann sinken und das Wachstum der Wirtspflanze beeinträchtigen.
Der Mistelzweig als Weihnachts- und Neujahrsschmuck
Woher der Brauch stammt, zu Weihnachten oder Neujahr einen Mistelzweig an die Tür zu hängen, lässt sich nicht genau nachweisen. Bekannt ist, dass die Mistel schon im vorchristlichen Europa eine bedeutende Rolle spielte. Ihr wurden Zauberkräfte zugesagt und sie diente der Abwehr von allen möglichen Krankheiten, von Blitzen oder von Hexenzauber. Viele Menschen glaubten, dass die immergrüne Mistel durch blosses Berühren Fruchtbarkeit, Gesundheit und Glück bringt. Heutzutage erfreuen sich die dekorativen Zweige mit den weissen Beeren, die just zur Weihnachtszeit reif sind, zunehmender Beliebtheit als Weihnachts- und Neujahrsschmuck.
Raffinierte Fortpflanzung
Weltweit gibt es über 1400 Mistelarten. Die bei uns verbreitete Art kommt meist auf Obstbäumen, Pappeln oder Weiden vor. Ihre weissen Früchte bestehen aus einer klebrigen Masse, dem «Viscin». Davon abgeleitet ist der lateinische Gattungsname Viscum, was nichts anderes als «Leim» bedeutet. Die deutsche Bezeichnung Mistel hingegen stammt aus dem Mittel- und Althochdeutschen und enthält das Wort «Mist» – vermutlich, weil der Samen der Pflanze über Vogelmist auf die Äste der Bäume gelangt. Tatsächlich sind es die Vögel, die Mistelsamen über ihren Kot verbreiten, aber auch über Speiballen oder durch gezieltes Abstreifen des Schnabels an der Baumrinde. Von dort kann der Keimling zu den Leitbahnen der Wirtspflanze vordringen und sich auf dem Baum niederlassen.
Hexenzauber und Zaubertrank
Asterix-Freunden ist natürlich der Zaubertrank des Druiden Miraculix bekannt. Erst die Mistel verlieh diesem Trank die übermenschlichen Kräfte, die den Galliern im Abwehrkampf gegen die Römer halfen. Tatsächlich hielten die gallischen Priester nach einem Bericht des Römers Plinius die Misteln sowie die Bäume, auf denen sie wuchsen, für heilige Pflanzen. Auch die Kelten und Germanen glaubten an die Zauberkraft der Mistel. Andere Völker glaubten, sie sei ein wirksames Gegengift, könne Schlösser aufbrechen oder vor Feuer und Krankheiten schützen.
Der Kuss unter dem Mistelzweig
Im alten Babylon schmückte man die Schutzpatronin der Schönheit und der Liebe mit Mistelzweigen. Daraus entwickelte sich der Glaube, dass ein Paar, dessen Verlobung unter einem Mistelzweig mit einem Kuss besiegelt wird, mit Fruchtbarkeit und einer langen glücklichen Ehe belohnt wird. Von daher rührt wohl auch der in England und in den USA beliebte Brauch, sich unter dem Mistelzweig zu küssen.
Heilende Wirkung der Mistel
Mistelpräparate kommen in der alternativen Medizin zum Einsatz, vor allem zur Behandlung von Krebs. Misteltherapien sollen das Wachstum von Tumoren hemmen, die Lebensqualität des Patienten während einer Chemotherapie verbessern oder nach einer Krebsbehandlung vor Rückfällen schützen. Auch wenn die Misteltherapie in der Schulmedizin umstritten ist, so weisen einige Studien doch auf eine mögliche Wirksamkeit der Mistel gegen Krebs hin. In der traditionellen Volksheilkunde wurde die Mistel auch gegen Bluthochdruck, Epilepsie, Asthma, Durchfall, Cholera oder zur Unterstützung der Herz-Kreislauf-Funktion eingesetzt. In diesen Bereichen fehlt allerdings ein wissenschaftlicher Nachweis.